Beispiel Schizophrenie/ Schizoaffektive Störung
„Nach der ICD-10 sind schizophrene Störungen durch grundlegende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung sowie inadäquater oder verflachter Affektivität gekennzeichnet. Symptome werden in Gruppen unterteilt:
1. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder Gedankenentzug, Gedankenausbreitung.
2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des „Gemachten“, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen (eigene Körperbewegungen oder Gedanken würden von außen gesteuert), Wahnwahrnehmungen.
3. Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über den Patienten und sein Verhalten sprechen oder andere Stimmen, die aus einem Körperteil kommen.
4. Anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn, wie der, eine religiöse oder politische Persönlichkeit zu sein, übermenschliche Kräfte und Möglichkeiten zu besitzen.
5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, begleitet entweder von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung oder begleitet von anhaltenden überwertigen Ideen oder täglich, für Wochen oder Monate auftretend.
6. Gedankenabreißen oder Einschieben in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt.
7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypen oder wächsener Biegsamkeit, Negativismus, Mutismus und Stupor.
8. „Negative“ Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, zumeist mit sozialem Rückzug und verminderter sozialer Leistungsfähigkeit. Diese Symptome dürfen nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht sein.
9. Eine eindeutige und durchgängige Veränderung bestimmter umfassender Aspekte des Verhaltens der betroffenen Person, die sich in Ziellosigkeit, Trägheit, einer in sich selbst verlorenen Haltung und sozialem Rückzug manifestiert.
Die Schizoaffektive Störung in der ICD-10
Die Diagnose schizoaffektive Störung sollte nur dann gestellt werden, wenn sowohl eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive Symptome gleichzeitig oder nur wenige Tage voneinander getrennt während derselben Krankheitsepisode vorhanden sind. Als affektive Symptome gelten depressive Symptome oder manische Symptome.
Klassisches Konzept zu Psychosen
Das psychiatrische Störungsmodell und klassische Therapieformen
Seit die Medizin psychische Störungen als Krankheiten einstuft, fokussiert die psychiatrische Forschung auf die Untersuchung von organischen oder psychiatrischen Defiziten und entwickelt Krankheitstheorien, bei denen Funktionsdefizite als Erklärung der psychiatrischen Störung im Mittelpunkt stehen. Insbesondere die dominierende biologische Forschung sucht unter der Annahme einer linearen Kausalität nach neurobiologischen Ursachen psychischer Störungen.
Meistens wird in der heutigen Psychiatrie im Sinne linearer Kausalität von einer Erkrankung, bei der viele Faktoren eine Rolle spielen, bei der Ursache und Entstehung der Störung.
Psychiatrische Therapieformen
In der klassischen psychiatrischen Therapie der Schizophrenien und schizoaffektiven Störungen steht die Behandlung mit Psychopharmaka, mit Neuroleptika im Vordergrund. Sie wirken antipsychotisch und verringern die Rezidivhäufigkeit schizophrener Psychosen (Wirkmechanismus besteht in einer Blockade der postsynaptischer D2-Rezeptoren).
Im Fall einer depressiven Symptomatik können zusätzliche Antidepressiva gegeben werden.
Bei der Erstmanifestation einer schizophrenen Psychose wird eine mindestens einjährige Rezidivprophylaxe empfohlen. Nach mehreren psychotischen Episoden ein Zeitraum von mehr als fünf Jahre und mehr.
Soziotherapie wird angeboten, um soziale Behinderungen zu reduzieren oder zu vermeiden. Milieugestaltung umfasst Tagesstrukturierung und Anregung zu Aktivitäten und Freizeitgestaltung.
Beschäftigungstherapie dient zu Ablenkung von krankheitsbezogenen Gedankengängen, Förderung kreativer Fertigkeiten, Übung kognitiver Fähigkeiten, Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, Antriebsförderung, Stärkung des Selbstvertrauens und Training von Ausdauer und Durchhaltevermögen.
Arbeitstherapie soll durch arbeitsbezogene Übungsmaßnahmen auf eine Tätigkeit im Erwerbsleben vorbereiten.
Psychosen aus Sicht der modernen Systemtherapie
In der früheren systemischen Therapie wurden objektive Aussagen über soziale Systeme angestrebt. In der modernen Systemtherapie wird der Beobachtungsrahmen erweitert und betrachtet das System, das aus dem beobachteten System sowie dem Beobachter besteht. Mit der Kybernetik zweiter Ordnung wird die Vorstellung aufgegeben, es gäbe beobachterunabhängige objektive Merkmale und Prozesse eines von außen beschreibbaren Systems. So werden psychische Störungen oder „Krankheiten“ nicht als „Wirklichkeit“, sondern als Zuschreibung eines Beobachters aufgefasst, quasi als Etiketten für bestimmte Verhaltensweisen, die in der üblichen Kommunikation unserer Kultur nicht erklärbar sind. Es werden Diagnosen als Konstrukt beschrieben, das zu gewissen Zeiten und in bestimmten Situationen Sinn ergibt und für das (Über-)Leben eines Individuums oder einer Familie hilfreich sein kann.
Diagnosen beinhalten Beschreibungen und Erklärungen für bestimmte Phänomene und sind nicht die Phänomene selbst. Aus den symptomatischen Verhaltensweisen wird geschlossen, dass der Betroffene ein „normales“ Verhalten nicht zeigen kann.
Das systemische Störungsmodell ist ebenfalls nur ein Konstrukt zur Beschreibung psychotischer Phänomene. Aus systemischer Sicht ist dieses Modell nützlicher, weil es mit einem erweiterten Beobachtungsrahmen mehr Optionen für den Klienten und seine Familie eröffnet.
Die Haltung des Betreuers
Grundsätzlich wählt ein Betreuer, meist unbewusst, eine Haltung gegenüber der betreuten Person, aufgrund seiner Wertevorstellungen, seines Wissenstandes, seiner Erfahrungen und seiner Motivation aus.
Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, ob er sich mit dem Krankheitsbild auseinandergesetzt hat und welche, wenn auch nur theoretischen Erfolgschancen er der favorisierten Behandlung einräumt. Betreuer, die aufgrund der Diagnose und spezifischer Verhaltensweisen des Klienten Zwangsbehandlungen beantragen, handeln aus ihrer Sicht im Rahmen eines Settings, das davon ausgeht, dass der Betreute nicht angepasst ist und er beurteilt und kontrolliert werden muss, normativ. Der Betreuer sieht die Notwendigkeit einer Behandlung, da der Betreute behandlungsbedürftig krank ist. Als Person ist er als hilflos anzusehen, und er braucht diese Art der Unterstützung. Das Verhalten des Betreuten ist dabei eher passiv, wenn nicht abwehrend.
Der systemisch orientierte Betreuer sieht den Patienten als gleichberechtigtes Gegenüber. Bis auf extreme Ausnahmen, orientiert er sich an seinen Wünschen, denn eine vertrauensvolle Beziehung ist Grundlage für eine gemeinsame Suche nach besseren Lösungen. Er ist daran interessiert mit dem Betreuten aktiv zu gestalten und er hält den Menschen grundsätzlich dazu fähig, mit Hilfe etwas zu verändern. Das heißt, dass der Betreute motiviert wird, aktiv zu werden. Seine Überzeugungen, Wünsche und Ziele sind es, die unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes das Vorgehen leiten. Dabei ist es wichtig, die bisherigen Lösungsversuche mit Respekt anzuerkennen und zu würdigen und positiv zu benennen. Geht es nicht schnell genug. Der Betreute bestimmt das Tempo.
In Krisensituationen, in denen der Betreute nicht ansprechbar ist, oder eine akute Selbstgefährdung vorliegt, besteht die Verpflichtung des Betreuers, den betreuten Menschen einer Behandlung zuzuführen.